Eine Entscheidung muss her – und das schnell! Aber wie kommen wir zu einer Entscheidung?
Wir haben uns in der Luftfahrt umgesehen und einen erfahrenen Piloten gefragt, wie er Entscheidungen trifft. Denn eines ist klar: keine Entscheidung zu treffen ist im Notfall auf 10.000 Meter Höhe keine Option.
Wie Pilot:innen Entscheidungen treffen
Georg Bernhofer hat über 15.000 Flugstunden in Businessjets und Verkehrsflugzeugen absolviert, er war Flugbetriebsleiter sowie Safety Manager und Compliance Monitoring Manager. Als Pilot führt er komplexe Teams und trifft täglich wichtige Entscheidungen.
Heute sprechen wir darüber, wie Pilot:innen Entscheidungen treffen und was wir im Business-Leben von Methoden im Cockpit lernen können. Georg, wie triffst du als Pilot Entscheidungen, vor allem, wenn du keine Zeit hast, lange zu überlegen?
Einmal darüber schlafen und am nächsten Tag noch einmal darüber diskutieren, das gibt es im Flugzeug nicht. Wir können nicht rechts ranfahren und einmal schnell unter die Motorhaube sehen. Im Cockpit stellt sich im Grunde nur eine Frage – und zwar nicht wann wir entscheiden, sondern wie wir entscheiden? Wir MÜSSEN Entscheidungen treffen.
Wir unterscheiden grundsätzlich zwischen intuitiven und rationalen Entscheidungen, die jeder und jede von uns täglich im Alltag trifft. Wenn man wenig bis keine Zeit hat, treffen wir alle eher intuitive Entscheidungen. Und das machen wir auch im Cockpit. In der Wissenschaft spricht man hier von sogenannten “Canned Decisions”, also Entscheidungen aus der Dose. Das sind nichts anderes als vorgefertigte Entscheidungsmuster, die jederzeit abrufbar bereitstehen. Im Luftfahrt-Sprachgebrauch nennen wir das “Memory Items”, die wir auch regelmäßig trainieren. In einem Notfall habe ich keine Zeit zu entscheiden, aber ich kann auf diese Memory Items zurückgreifen. Ich weiß sofort, was ich zu tun habe. Wie beim Autofahren. Wenn plötzlich jemand vor dir bremst, dann trittst du ebenfalls auf die Bremse, ganz intuitiv. Denn das hast du trainiert.
Wie kann man dieses Treffen von intuitiven Entscheidungen auf Unternehmen umlegen?
Es geht um die Vorbereitung von Szenarien. Das kann jedes Unternehmen machen.
Was mache ich beispielsweise, wenn ein:e Kund:in in einem Meeting sagt, sie möchten nicht mehr weiter mit uns zusammenarbeiten. Als Unternehmen kann ich mich auf solche Situationen vorbereiten und überlegen, was ich meinem Kunden anbieten kann. Genau so machen wir das in der Luftfahrt. Wir bereiten uns auf mögliche Szenarien vor.
Geht es im Cockpit immer um intuitive Entscheidungen?
Nein, wir haben natürlich auch Situationen, wo wir etwas mehr Zeit haben, eine Entscheidung zu treffen. Aber irgendwann geht dem Flieger dann auch mal der Treibstoff aus. Wir haben nie viel Zeit.
Was machen wir also? Wir analysieren gemeinsam im Team. Dazu haben wir eine wissenschaftliche Methode, die sich “FOR-DEC” nennt. FOR-DEC steht für Facts, Options, Risks and Benefits, Decision, Execution und Check.
Der Entscheidungsfindungsprozess ist somit auch hier standardisiert?
Ja genau, es ist alles standardisiert.
Wichtig ist zu erwähnen, dass immer der Kapitän oder die Kapitänin die finale Entscheidung treffen, da sie die Gesamtverantwortung tragen. Aber die Fakten, Optionen und Risiken werden gemeinsam im Team abgewogen und besprochen.
Die FOR-DEC Methode könnte in jedem Unternehmen Anwendung finden und Entscheidungsprozesse beschleunigen.
Im Flugzeug kommen noch weitere Gruppen ins Spiel, die nicht im Cockpit sitzen und Entscheidungen treffen – nämlich die Kabinencrew und die Passagiere. Wie werden diese eingebunden bzw. an sie kommuniziert?
Auch hier gibt es wieder eine standardisierte Vorgehensweise.
Diese nennt sich ITS: Intention, Time, Specials.
Vor allem in einem Notfall wird die Kabinenleitung ins Cockpit geholt, die dann darüber informiert wird, was wir vorhaben – unsere Intention, wie viel Zeit (Time) die Kabinencrew für die Vorbereitung für, beispielsweise eine verfrühte Landung, hat und welche Spezialfälle auftreten können – die sofortige Evakuierung der Kabine nach der Landung oder ähnliches.
Die Kabinenleitung darf das Cockpit erst verlassen, wenn die Informationen richtig wiederholt werden und ich als Pilot somit feststellen konnte, dass alle Fakten und Aufgaben richtig verstanden wurden. Dann werden die Passagiere von der Kabinenleitung informiert, sofern ich dafür keine Zeit habe.
Es findet hier also tatsächlich “Kommunikation” statt und nicht nur die Weitergabe von Informationen. Das bedeutet, dass die Beteiligten so abgeholt werden, dass sie alles verstehen und die Informationen auch umsetzen können.
Genau. Die Kommunikation erfolgt in kurzen Sätzen in Form von 3 K´s: klar, komplett und kurz – ganz ohne Floskeln und so schnell wie möglich.
Danke Georg für diese spannenden Einblicke ins Cockpit. Hast du einen abschließenden Tipp für uns?
Triff Entscheidungen, sonst treffen die Entscheidungen dich! Gar keine Entscheidung zu treffen ist die schlechteste Option.
**Das gesamte Interview mit Georg Bernhofer kannst du im Leaders21 Podcast nachhören.
KEY TAKEAWAYS
Bereite verschiedene Szenarien vor
Mach dir Gedanken über verschiedene Möglichkeiten, wie sich deine Entscheidungen auswirken könnten. Wenn du bereits im Voraus vorbereitet bist, kannst du schneller handeln, wenn die Zeit gekommen ist.
Übe den Entscheidungsprozess
Nimm dir Zeit, um den Entscheidungsprozess zu üben. Je öfter du das machst, desto besser wirst du darin, fundierte Entscheidungen zu treffen, wenn es darauf ankommt.
Nutze den FOR-DEC Ansatz
Versuche, den FOR-DEC Ansatz in deinem Unternehmen anzuwenden. Er hilft dir, auf Fakten basierende Entscheidungen zu treffen und ihre Auswirkungen besser zu verstehen.
Kommuniziere deine Entscheidungen klar, komplett und kurz
Wenn du Entscheidungen mit anderen teilst, halte es kurz und klar. So vermeidest du Missverständnisse und erleichterst die Umsetzung.
Stelle sicher, dass alle alles verstanden haben
Bevor du weitergehst, vergewissere dich, dass jeder alles verstanden hat. Nur so kannst du sicher sein, dass deine Entscheidungen richtig umgesetzt werden. Nimm dir Zeit, um offene Fragen zu klären und sicherzustellen, dass alle auf dem gleichen Stand sind.
Thomas Kleindessner
Email: thomas.kleindessner@leaders21.com
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